Wie geht es weiter mit dem Beruf des Schiffsingenieurs?

Leider sind bestimmte Klischee-Vorstellungen, besonders über die Seefahrt, sehr langlebig.

Dazu hört, dass an Bord nur neben dem mit dicken goldenem Kolbenringen auf den Uniformärmeln bestückten souverän auftretenden Kapitän, dem bärtigen Bootsmann mit von Sonne und Alkohol zerfurchtem Gesicht, dem etwas schmuddeligen Smutje nur noch ein paar rundum tätowierten Matrosen ihren Dienst versehen. Dass mit Ablösung der Segel- durch die Dampfschifffahrt es vor rund 200 Jahren erforderlich war, auch noch eine nicht unerhebliche Anzahl von Schiffstechnikern an Bord zu mustern, wurde in der Allgemeinheit nur verhalten zur Kenntnis genommen.

Zu wenig ist auch bekannt, dass es diese maschinentechnischen Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere sind, die auf allen Fahrzeugen für den Vortrieb, die Versorgung bestimmter Systeme mit Elektroenergie, Wärme und Kühlung sorgen.

Werden mitreisende Passagiere durch die technischen Betriebsräume geführt, fallen oft Bemerkungen wie „Ohne euer Wirken würde das Schiff als Wrack an der Pier liegen!“

Wie wahr!

Beschäftigt man sich mit der Historie der deutschen Handelsschifffahrt, so wird deutlich, dass stets hervorragende Schiffe mit modernen schiffstechnischen Anlagen entwickelt, gebaut und von gut ausgebildeten Maschinisten und Schiffsingenieuren in Fahrt gesetzt und instand gehalten wurden.

An deutschen Seemaschinisten- und Schiffsingenieurschulen gaben „alte Hasen“ mit großer Leidenschaft nicht nur ihre theoretischen, sondern vielfältigen praktischen und beruflichen Erfahrungen an den Nachwuchs weiter. Oft konnte besonders in den Nachkriegsjahren der Bedarf an Seeleuten mit einem Befähigungsnachweis bzw. - zeugnis (immer noch sprechen „de Ollen“ von Patent) nicht gedeckt werden. Sich erheblich anhäufende Freizeitansprüche mit hoher Belastung für das Familienleben waren die Folgen.

Hierüber sowie über spezielle Erlebnisse bei der Begegnung mit technischen Ausfällen aller Art und Schwere für Schiff, Ladung und Menschen wird zwanglos gerne am monatlichen „Stammtisch der Schiffsingenieure zu Rostock“ in bekannter Maschinenlautstärke geklönt. Die leider sich häufenden Nachrichten vom Ableben langjähriger Vereinsmitglieder und das nur geringe Interesse von Studenten und Fachschülern der Schiffsbetriebstechnik an einer Mitgliedschaft in dem Ortsverein lassen zunehmend Besorgnisse aufkommen, wie sich der Berufsstand in naher Zukunft entwickeln wird.

Ist den jungen Leuten nicht bewusst, dass man berechtigte berufliche Interessen nur in einer berufsständischen Vereinigung durchsetzen kann?

Die Erfahrungen der langjährigen deutschen Seefahrtspraxis haben bestätigt, dass es notwendig und erforderlich ist, dass vor einem Schulbesuch eine gediegene handwerkliche Berufsausbildung und darauffolgende praktische Seefahrtszeit ein elementares Fundament der weiteren beruflichen Entwicklung darstellt.

Bloß wie können junge, seefahrtsinteressierte Menschen das erreichen, wenn die Reeder meist unter Kostenzwang keine Nachwuchskräfte wie beispielsweise den Schiffsmechaniker anmustern?

Daraus erwachsende Folgen werden die Ausbildungsstätten zuerst und dann die Reeder, Seefahrtsbehörden und die maritime Industrie in absehbarer Zeit zu spüren bekommen.

„Macht nix!“ sagen einige Besserwisser. Dann beschäftigen wir eben Fachkräfte aus dem Ausland bzw. aus den Staaten der Europäischen Union (EU) an.

Die den Reedern vom deutschen Staat zugedachten finanziellen Entlastungen kommen dann nicht deutschen, sondern ausländischen Seeleuten zu Gute.

Ist es verwerflich zu erwarten, dass nationale Steuern dafür verwandt werden bestehende deutsche Arbeitsplätze zu sichern, günstigen Falls sogar neu zu schaffen?

Erschreckend, dass der deutsche Gesetzgeber mit seinen vorgesehenen Festlegungen in der neuen „Schiffsbesetzungsverordnung“ nur noch zwei EU-Seeleute zwingend vorschreibt. Erfahrungsgemäß könnten das der Kapitän und der Chief sein. Und natürlich werden diese, da z.B. aus Polen oder Rumänien stammend, auch niedrigere angebotene Heuern akzeptieren. Als Folgen ist in der nahen Zukunft somit die schleichende Verdrängung von deutschen Fachkräften bis zum völligen Verschwinden der gesamten nautischen bzw. technischen Berufsgruppe nicht auszuschließen.

Und wo bleibt der gemeinsame Aufschrei der noch im Beruf aktiven oder im Ruhestand befindlichen Nautiker und Techniker?

Selbst ein Protest aller deutschen maritimen Ausbildungsstätten an den Gesetzgeber in Berlin wurde von zwei Einrichtungen nicht mit getragen.

Es darf die Frage gestattet sein: „Ist es nur norddeutsche Gelassenheit oder denken Einige bei schrumpfenden Studentenzahlen zu den Letztüberlebenden zu zählen?“

Für viele Schiffsingenieure der älteren Generation ist es unverständlich, dass bei der seit längerer Zeit praktizierten finanziellen und fachlichen deutschen Unterstützung von ausländischen Seefahrtsschulen nicht in Erwägung gezogen wurde, dass wir damit langfristig mit Bravour den Ast absägen, auf dem wir selbst sitzen.

In Abwandlung eines bekannten Satzes vom Dichter Heinrich Heine sagt nicht nur der Autor:
„Denk ich an den Berufsstand „Deutscher Schiffsingenieur“ in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht!“

Dipl.-Ing. Heinz-Jürgen Marnau



Dipl.-Ing. Ralf Griffel / webmaster@vsir.de / 15.09.2016